Die Global Assembly lädt ein: Vorbereitende Veranstaltungen in Nürnberg, Frankfurt, München und Berlin

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Bericht zum Workshop: Autoritarismus, Demokratie und Menschenrechte

 

In den Räumlichkeiten des Nürnberger Menschenrechtszentrum fand am 26. Januar 2024 der Workshop „Autoritarismus, Demokratie und Menschenrechte“ im Rahmen der Global Assembly statt. Als Referent:innen sprachen Berthold Franke (ehem. Goethe-Institut), Thomas Gebauer (Global Assembly), Heiner Bielefeldt (FAU Erlangen), Jens Martens (Global Policy Forum), Andrea Kuhn (Menschenrechtsfilmfestival Nürnberg), Martina Mittenhuber (Menschenrechtsbüro der Stadt Nürnberg), Lydia Taylor (AGABY) und Imanuel Baumann (Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg). Moderiert wurden die Beiträge von Michael Krennerich (FAU Erlangen).

 

Dokumentation der Ergebnisse:

 

Global sind verschiedene Formen von Autoritarismus zu beobachten. Analytische Schärfe ist bei der Bezeichnung der Phänomene wichtig, um einerseits begriffliche Leere und andererseits die Verharmlosung von Bewegungen zu verhindern.

In zahlreichen Gesellschaften existieren Strömungen, die sich zwar politisch und ökonomisch unterscheiden, aber häufig einheitlich als autoritär oder rechtspopulistisch beschrieben werden. Zur Bekämpfung dieser Phänomene gehört auch ihre präzise Bezeichnung. Hier kann der Faschismus-Begriff hilfreich sein, soweit eine Strukturverwandtschaft mit dem europäischen Faschismus der 1920er und 1930er Jahre bewiesen werden kann: Dazu gehören Autoritarismus, aggressiver Nationalismus, der unter Umständen auch imperial und nach außen gerichtet ist, die Bestimmung eines Feindes im Inneren und Geschichtsrevisionismus. Der Populismusbegriff ist damit nicht gleich unbrauchbar, sondern in der Bezeichnung vieler Phänomene auch hilfreich. Um eine Verharmlosung von Bewegungen, die die Erosion und Abschaffung von Demokratie im Sinn haben zu verhindern, sind aber begriffliche Grenzziehungen nötig.

Der Erfolg von Rechtspopulismus, Faschismus und Autoritarismus hängt wesentlich mit der neoliberalen Umgestaltung der Welt und der damit einhergehenden sozialen Verunsicherung von Menschen zusammen.

Die Erwartungen an den Neoliberalismus als Bringer von allgemeinem Wohlstand und Teilhabe am Fortschritt haben sich nicht global realisiert. Stattdessen führten die Liberalisierung der Märkte, der Rückbau öffentlicher Dienstleistungen und sozialer Sicherungsmechanismen ebenso wie Sparpolitiken – zum Beispiel im Bildungsbereich – zur Verarmung, wenn nicht gar sozialem Ausschluss von großen Bevölkerungsteilen. Hinzu kommen sozialpsychologische Effekte, darunter Gefühle des Abgehängt-Seins und von Bedeutungslosigkeit, enttäuschte Hoffnungen und das Gefühl, mit der Komplexität der (welt-)gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mehr zurecht zu kommen. Aber auch die Sorgen aufstrebender Mittelschichten, gerade erlangte Privilegien wieder verlieren zu können.

Ökonomische Prinzipien der Konkurrenz und Individualität dominieren das soziale und politische Leben. Gleichzeitig wurden Familien-, Religions-, und Klassenzusammenhänge zurückgedrängt und der Aufbau eines solidarischen Sozialwesens durch die Kapitalisierung von sämtlichen Lebensbereichen behindert. Von diesem Phänomen der „tranzendentalen Obdachlosigkeit“[1] profitieren auch rechte Strömungen, die sich mithilfe von effektiver Emotionspolitik Gehör und Zustimmung verschaffen. Dabei bedienen sich rechte Parteien an historisch gewachsenen Ressentiments, wie dem Antifeminismus, Antisemitismus und Rassismus. Sozialpolitisch positionieren sie sich marktradikal und völkisch antikapitalistisch gleichermaßen.

Grundlegend für eine Gegenstrategie zur Bekämpfung von Rechtspopulismus, Faschismus und sonstigem Autoritarismus ist die Bekämpfung der zuletzt dramatisch angewachsenen Ungleichheit.

Die Widersprüche des Kapitalismus und der Moderne aufzuheben, ist nicht möglich. Wohl aber kann es gelingen, den Kapitalismus sozialpolitisch einzuhegen und damit die Zumutungen der Moderne abzumildern: Das bedeutet gegen Austeritätspolitik und für mehr Daseinsvorsorge zu kämpfen. Das muss auf kommunaler wie nationaler Ebene in Form von progressiver Haushaltspolitik geschehen, die unter anderem die öffentliche Gesundheitsversorgung, Soziale Arbeit, das Schulwesen und den Kulturbetrieb im Blick hat. Global heißt es sich für eine Verbesserung von nationalen Steuersystemen, einer Vermögenssteuer, der Verfolgung von Steuerhinterziehung und der Reform globaler Schuldenmechanismen stark zu machen. Die Idee eines neuen „Globalen Sozialvertrages“ als Rahmen z.B. für ein globales Grundeinkommen und Formen globaler sozialer Sicherung gilt es weiter zu verfolgen. Auch die positiven, aber wenig bekannten Entwicklungen im Spannungsfeld zwischen privatem und kollektivem Eigentum gilt es ernst zu nehmen.

Der Einsatz für Kulturförderung muss als Teil des Kampfes gegen Austerität verstanden werden. Theater, Kino, Politische Bildungs- und Musikveranstaltungen können einen Beitrag beim Aufbau und der Bewahrung gesellschaftlicher Zusammenhänge leisten.

Ungleichheit herrscht auch in der Kultur. Nicht alle können gleichermaßen teilhaben. Das Ideal aktiver selbstbestimmt handelnder Menschen, gleich an Würde, harrt noch immer seiner Verwirklichung. Stattdessen haben Wettbewerbslogiken längst auch Eingang in den Kulturbetrieb gefunden, wie die Bewertung von Theater- oder Kinoveranstaltungen anhand von Impact-Kriterien zeigt. Erwartet wird, dass trotz prekärer Bezahlung Kulturschaffende ihrem Auftrag nachkommen, Individuen zu mündigen Demokrat:innen zu formen. Das Publikum wird hierbei als passiv konsumierend verstanden und angesprochen. Die Änderung dieser Mechanismen ist das Ziel: Wo möglich, muss die Verwertungslogik aufgebrochen und die Komplexität der Verhältnisse sowie das utopische Potential deutlich gemacht werden. Das Publikum soll durch die Erfahrungen, die es in Kulturveranstaltungen macht, mit Neuem und Unbequemen konfrontiert und zum kollektiven und aktiven politischen Handeln aufgerufen werden. Der appellative Charakter kann in der Kulturarbeit aber auch fehlgeleitet sein, deutlich wird das in manchen Formaten der historisch-politischen Bildungsarbeit zum Holocaust-Gedenken. Statt Ritualisierung und dem Pochen auf einer verpflichtenden Vergangenheit, sollte hier die Arbeit daran orientiert sein, historisch informierte Urteilskraft und Selbstwirksamkeit zu fördern. Zusätzlich zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust muss für die Förderung von postkolonialer Erinnerung – auch im öffentlichen Straßenbild – weiter gekämpft werden.

Auch zivilgesellschaftliche Organisationen sind ein wichtiger Hebel im Kampf gegen Autoritarismus und für Demokratie. Fast ein Drittel der Weltbevölkerung lebte 2023 hingegen in einem Land mit „geschlossenem“ zivilgesellschaftlichem Handlungsspielraum.[2]

Neben physischer Gewalt spielen insbesondere juristische Repression, die Kontrolle des digitalen Raums sowie geschlechtsspezifische Gewalt zentrale Rollen bei der Unterdrückung der Zivilgesellschaften. Um den Handlungsspielraum von zivilgesellschaftlichen Akteuren zu bewahren, ist der Aufbau von internationalen solidarischen Netzwerken essentiell. Menschenrechtsverteidiger:innen nicht nur vor physischen Angriffen zu schützen, aber auch psychosozial zu unterstützen, wird immer wichtiger.

Die Menschenrechte sind zwar nicht der Schlüssel in der Bekämpfung von Autoritarismus, bieten aber einen guten Kompass: Insbesondere durch ihre Funktion als relationale Rechte, ihre etablierten Accountability-Mechanismen und der Förderung von Informationsfreiheit und Transparenz ist ihre Beachtung essentiell bei der Etablierung funktionierender Sozialwesen.

Neben einer individualrechtlichen Komponente entfalten viele Menschenrechte – etwa die Rechte auf Versammlungs- und Pressefreiheit oder das Recht Gewerkschaften zu gründen – nur im Kontext eines Kollektivs ihre Wirkung. Als solche relationalen Menschenrechte schützen sie Räume für solidarisches, anti-autoritäres Zusammenleben und können zu dem Aufbau eines zeitgemäßen „transzendentalen Obdach“ beitragen.

Hinzu kommt, dass ein Großteil der Staaten sich menschenrechtlichen Rechenschaftspflichten nicht entziehen kann. Nach wie vor stellen Staaten sich menschenrechtlichen Kritiken in regionalen oder dem globalen Menschenrechtssystem. Viele menschenrechtliche Institutionen stehen aber unter Druck, auch die Gefahr der Zerstörung vieler Institutionen durch Unterfinanzierung und Unterwanderung ist real.

Gerade Fact-Finding-Missionen, Monitoring- sowie Reviewmechanismen aber müssen vor politischem Missbrauch geschützt werden. Sie können zusammen mit dem Recht auf Informations- und Wissenschaftsfreiheit ein Gegenmittel für Desinformation sein. Die Gefahr der Instrumentalisierung ist aber auch hier gegeben.

Die oft und zurecht beklagten Doppelstandards sprechen nicht gegen die Menschenrechte als solche, wohl aber gegen diejenigen, die sie für partikulare Interessen missbrauchen.

Menschenrechte können insbesondere auf kommunaler Ebene erfahrbare Relevanz entwickeln.

Das Gefühl der Verbundenheit mit Kommunen ist nach wie vor hoch. Das liegt auch daran, dass viele Aufgaben der Daseinsvorsorge in kommunaler Hand sind. Auch werden auf Ebene der Gemeinden und Städten viele globale Krisen sichtbar. Gerade deshalb kann kommunale Menschenrechtsarbeit, zum Beispiel in Form von politischer Bildung, aber auch über die Einrichtung von unabhängigen kommunalen Antisdiskriminierungsstellen, ein effektives Mittel in der Bekämpfung von Rassismus und Autoritarismus sein. Förderlich ist ein ethisches Rahmenkonzept, ein Leitbild, das Menschenrechtsarbeit als wichtigen Beitrag zur Schaffung solidarischer Gemeinwesen versteht. Menschenrechte sind Antrieb für Veränderungen und Maßstab für Erreichtes zugleich. Ebenfalls förderlich ist das Schaffen von Räumen, in denen demokratischer Austausch und das Erarbeiten von politischen Forderungen kultiviert wird. Dabei ist kommunale Menschenrechtsarbeit auf die Zusammenarbeit zwischen städtischen Einrichtungen und der Zivilgesellschaft (einschließlich der Wissenschaft) angewiesen. Eine interessante Option bieten kommunale Bürger:innen-Konvente, wie sie vielerorts bereits praktiziert werden.

Gleichzeitig muss überlegt werden, wie kommunale Menschenrechtsarbeit das Leben von (marginalisierten) Gruppen konkret verbessern kann. Insbesondere die Erfahrung von Scheinbeteiligungen muss verhindert werden. Problematisch ist auch das Fehlen einer nachhaltigen Finanzierung von zivilgesellschaftlicher und staatlicher Menschenrechtsarbeit auf kommunaler Ebene. Häufig ist die Arbeit befristet sowie prekär bezahlt und beruht auf viel ehrenamtlichem Engagement, zum Beispiel von Ausländer-, Migranten- oder Integrationsbeiräten.

Strategieempfehlungen für Politik, Zivilgesellschaft und die Global Assembly:

  1. Die Verteidigung von Demokratie gegen den weltweit wachsenden Autoritarismus erfordert ein vielschichtiges Handeln. Neben juristischen und strafrechtlichen Maßnahmen sind vor allem gesellschaftspolitische Eingriffe vonnöten.
  2. Zentrales Anliegen solcher Eingriffe muss die Bekämpfung von Ungleichheit, dem Nährboden von Rechtsradikalismus sein.
  3. Statt einer Politik der Austerität bedarf es der Förderung einer sozialen Infrastruktur, die allen Menschen den Zugang zu einer funktionierenden Daseinsvorsorge bietet, die auch dem Anspruch auf Bildung, Kultur und gesellschaftlicher Teilhabe gerecht wird.
  4. Sozialpolitik ist nicht der einzige Hebel, um Autoritarismus zu bekämpfen. Statt die Sorgen und Ängste von Menschen für partikulare machtpolitische Zwecke zu instrumentalisieren, gilt es ein auf Solidarität und Empathie basierendes gesellschaftliches Klima zu sorgen. Dabei ist nicht zuletzt der Idealisierung von Konkurrenz und aggressiver Männlichkeit Ideen von Verletzlichkeit und wechselseitigem Vertrauen entgegenzustellen.
  5. Die klare Benennung von rechten Gruppierungen – als rechtsradikal, autoritär, faschistisch – ist fundamental. Weder darf die Entleerung von Begriffen noch die Verharmlosung von politischen Gruppierungen hingenommen werden.
  6. Gegen die Erosion des internationalen Menschenrechtssystems und für die stabile Finanzierung von kommunaler und nationaler Menschenrechtsarbeit muss gesorgt werden. Ein Beispiel ist die Schaffung von unabhängigen Antidiskriminierungsstellen – auch zur Entlastung von Ehrenamtlichen.
  7. Trotz ökonomischen Drucks auf Zivilgesellschaft und Kultur ist es essentiell vorhandene Ressourcen zu teilen – insbesondere mit gesellschaftlich Marginalisierten.
  8. Der kollektive und relationale Aspekt der Menschenrechte muss hervorgehoben werden!
  9. Die Vernetzung von zivilgesellschaftlichen Organisationen muss global vorangetrieben werden, zum produktiven Austausch und gegenseitigem Schutz.
  10. Mit dem Vorwurf, dass die breite Bevölkerung mit bestimmten politischen Themen überfordert ist, ist aktiv umzugehen – auch wegen der Dringlichkeit der aktuellen Krisen. Die Auslöser für reaktionäre Debatten müssen analysiert und Strategien entwickelt werden.

 


[1]    György Lukács, Die Theorie des Romans: ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der grossen Epik (Aisthesis Verl 2009).

[2]    Brot für die Welt, ‘Atlas Der Zivilgesellschaft 2023’ 11 <https://www.brot-fuer-die-welt.de/themen/atlas-der-zivilgesellschaft/>.