Wir brauchen nicht weniger als eine kosmopolitische Idee von Demokratie und Menschenrechten.

Wir brauchen nicht weniger als eine kosmopolitische Idee von Demokratie und Menschenrechten.

Warum eine Global Assembly? Die Idee

Wie lässt sich die Idee der allgemeinen Menschenrechte, um die schon in den europäischen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts gerungen wurde, global denken und verwirklichen? Über diese Frage beraten Aktivist:innen aus aller Welt im Rahmen der Global Assembly, die sich im März 2024 zum zweiten Mal in Frankfurt am Main treffen wird.

Den Anlass dazu bietet der 175. Jahrestag der ersten deutschen Nationalversammlung, die von Mai 1848 an in Frankfurt tagte und am 27. März 1849 eine Verfassung für ganz Deutschland verabschiedete. Bei den offiziellen Feierlichkeiten im Mai 2023 wurde der Beginn der Nationalversammlung als Höhepunkt des liberalen Aufbruchs zu demokratischer Partizipation, zu Freiheits- und Grundrechten gewürdigt. Zugleich bildete sich in Frankfurt ein zivilgesellschaftliches Netzwerk, das die Jubiläumsfeiern mit einem kritischen Blick von unten begleitet und Fragen nach einer Teilhabe aller, die in der Stadt und im Land leben, stellt. Zu diesem Netzwerk gehört auch der Initiativkreis, der die Global Assembly organisiert.

Beim ersten Treffen (ein ausführlicher Bericht zur Vorversammlung findet sich hier) vom 14. bis 18. Mai 2023 haben sich die 45 Teilnehmenden aus aller Welt auf Themen geeinigt, die sie bis zur zweiten Versammlung vom 15. bis 18. März 2024 in Arbeitsgruppen weiter diskutieren und vertiefen werden. Zu folgenden Bereichen wurden Arbeitsgruppen gebildet, die in digitalen Formaten tagen und ihre Ergebnisse dann in Frankfurt präsentieren wollen:

  • Autoritarismus und Demokratie/Extremismus und Exklusion
  • Gendergerechtigkeit
  • Ökonomische und finanzielle (Un-)Gerechtigkeit/Arbeit
  • Flucht, Migration & Staatenlosigkeit
  • Sozial-ökologische Krise und Alternativen

Der erste Teil der Global Assembly fand – nach einer öffentlichen Begrüßung in der Paulskirche – in der Evangelischen Akademie Frankfurt in Klausur statt. Ziel war es, für die Debatten der Teilnehmenden, von denen viele an ihren Herkunftsorten Repressalien befürchten müssen, einen geschützten Raum für ein gegenseitiges Kennenlernen und offene Debatten zu bieten. Im Rahmen der zweiten Versammlung werden sie sich und ihre Ergebnisse soweit möglich der hiesigen Zivilgesellschaft und der breiteren Öffentlichkeit in Veranstaltungen und Gesprächen präsentieren.

Die Idee zur Global Assembly ist aus der Überzeugung entstanden, dass wir dem Erbe des demokratischen Aufbruchs von 1848 nur gerecht werden können, wenn wir die nationale Perspektive ins Globale weiten.

Die Idee zur Global Assembly ist aus der Überzeugung entstanden, dass wir dem Erbe des demokratischen Aufbruchs von 1848 nur gerecht werden können, wenn wir die nationale Perspektive ins Globale weiten. Aus der Paulskirche und den anderen Begegnungsorten der Teilnehmenden sollte ein „utopischer Raum“ des Nachdenkens und Debattierens über Wege zu einer von allen Menschen geteilten Welt werden, in der die Vielfalt der Kulturen, Werte, Lebensweisen und Formen der Selbstorganisation Anerkennung findet. Das ist in erfreulicher Weise gelungen.

„Deutschland will Eins sein, ein Reich, regiert vom Willen des Volkes, unter der Mitwirkung aller seiner Gliederungen“, so fasste der liberale Politiker Heinrich von Gagern im Mai 1848 nach seiner Wahl zum Präsidenten der Nationalversammlung zusammen, was damals für viele noch wie eine Utopie anmuten musste. Tatsächlich gelang den mehreren hundert Männern (Frauen waren nicht dabei) ein für ihre Zeit bedeutender Fortschritt: Sie schrieben eine Verfassung, die das in Dutzende Fürsten- und Herzogtümer, Einzelstaaten und freie Städte zersplitterte Deutschland zu einem einheitlichen Raum des Rechts machen sollte, in dem – wenn auch in beschränktem Maße – Grundrechte und demokratische Teilhabe gewährleistet sein sollten.

Das Gesetzeswerk, verabschiedet im März 1849, scheiterte an den alten Mächten und der Schwäche des erst langsam erstarkenden Bürgertums. Aber es gilt als Meilenstein auf dem Weg zu einer Demokratie, die allen Menschen unabhängig von Herkunft und gesellschaftlichem Stand gleiche Rechte gewährt – zumindest prinzipiell.

Heute stellt uns dieses historische Erbe vor neue Aufgaben: Wir brauchen nicht weniger als eine kosmopolitische Idee von Demokratie und Menschenrechten.

Heute stellt uns dieses historische Erbe vor neue Aufgaben: Wir brauchen nicht weniger als eine kosmopolitische Idee von Demokratie und Menschenrechten. Sie erscheint nicht nur deshalb notwendig, weil Lieferketten und Kapitalströme schon längst nicht mehr Halt machen an nationalen Grenzen. Sondern sie drängt sich verstärkt auch auf in Zeiten, da nationale Machtpolitik und Autoritarismus eine Renaissance erfahren – verbunden mit gewaltsamer Durchsetzung machtgesteuerter und/oder ökonomischer Interessen.

 

Wer wir sind: Der Initiativkreis

Im Initiativkreis für die Global Assembly haben sich vor mehr als zwei Jahren Menschen aus dem deutschsprachigen Raum zusammengefunden, die sich in Zivilgesellschaft, Kultur und Wissenschaft engagieren. Getragen wird die Initiative zudem von einem breiten Bündnis politischer Aktivist:innen aus Menschenrechts-, Antirassismus-, Feminismus- und Entwicklungsorganisationen sowie Medien, politischen Stiftungen und Think-Tanks. Manche arbeiten seit Jahrzehnten eng mit Partnerorganisationen im globalen Süden zusammen. Mehr zu den verschiedenen Arbeitsebenen ist hier zu finden. 

Uns bewegt die Frage, wie das Ziel der ökonomischen und politischen Partizipation aller sowie die Grund- und Menschenrechte verbindende Grundlagen für die globale Zusammenarbeit werden können. Wie schaffen wir es, den drängenden globalen Herausforderungen zu begegnen, die globalen öffentlichen Güter zu schützen und die planetaren Grenzen zu wahren?

Wie schaffen wir es, den drängenden globalen Herausforderungen zu begegnen, die globalen öffentlichen Güter zu schützen und die planetaren Grenzen zu wahren?

Wir gehen zunächst davon aus, dass die Unverbrüchlichkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte einen zentralen Orientierungspunkt darstellen, auch wenn sie in der gegenwärtigen Realität für mächtige Interessen instrumentalisiert werden und oft nur Lippenkenntnisse sind. Wie können sie zu Gestaltungsprinzipien einer nicht-hegemonialen Weltordnung werden? Mit welchen Widerständen haben wir es zu tun, wenn wir an den Menschenrechten festhalten und sie womöglich erweitern wollen, und wie können wir diese Widerstände überwinden? Wie können die in Frankfurt Versammelten Brückenbauer:innen sein zwischen der Global Assembly und ihren jeweiligen lokalen und regionalen Netzwerken?

Aus Erfahrung wissen wir, dass es ohne öffentlichen Druck keine Veränderung gibt.

Aus Erfahrung wissen wir, dass es ohne öffentlichen Druck keine Veränderung gibt. Wie schaffen wir transnationale Öffentlichkeit unter den Bedingungen digitaler Kommunikation? Ziehen wir uns ins Lokale und Nationale zurück, weil wir dort soziale und politische Rechte noch am ehesten verteidigen können? Oder gibt es doch noch Räume für gemeinsames Handeln über Grenzen hinweg? Wie begegnen wir dem weltweit zunehmenden Trend zu Autoritarismus und Diskriminierung?

Bei der ersten Versammlung im Mai 2023 standen solche Fragen im Zentrum. In der zweiten Versammlung soll es zusätzlich um gemeinsame Prinzipien für Kooperation und transnationale Öffentlichkeiten gehen. Den Organisator:innen ist bewusst, dass der globale Norden eine historische und aktuelle Hauptverantwortung für die Ausbeutung von Menschen und Natur sowie für globale Ungleichheit und Ungerechtigkeit trägt. Dieser Verantwortung kommt er bis heute nicht nach, weder durch eine gerechtere Welthandelsordnung noch durch eine global gerechtere Gesundheitsversorgung oder durch ernsthafte Impulse für eine radikale sozial-ökologische Transformation.

 

Die Global Assembly: ein Prozess mit offenem Ausgang

Wenn wir Aktivist:innen aus aller Welt eingeladen haben, geschah das nicht im Glauben, dass wir die richtigen Antworten oder auch nur die richtigen Fragestellungen haben. Wir gehen vielmehr davon aus, dass Fragen nach der Vision von wahrhaft universalen, nicht hegemonialen Werten, Formen und Strukturen gemeinsamen Handelns nur gemeinsam mit denen verhandelt und (bestenfalls) beantwortet werden können, die weltweit auf lokaler, nationaler, regionaler Ebene für ein selbstbestimmtes Leben, für ihre Beteiligung und ihre Rechte sowie für ein Zusammenleben ohne Verfügungsgewalt über andere Geschöpfe kämpfen.

Wir sehen uns nicht als organisierendes Zentrum neuer globaler Vernetzungsbemühungen des Protests gegen Neoliberalismus, Neokolonialismus, Rassismus, Sexismus, Autokratie und die Rückkehr des Nationalistischen. Davon gibt es genug. Aber Räume, um gemeinsam offene Debatten zu führen, in denen politisch, strategisch, normativ, aber auch vermittelnd, erzählend, analysierend und suchend drängende Fragen verhandelt werden, sind nicht nur selten, sie werden vor allem politisch immer enger. Dem wollen wir mit unserem Vorhaben entgegenwirken.

Das Ende dieses Prozesses ist offen. Es liegt an den Teilnehmenden selbst, welche Ideen, Forderungen und Initiativen sie im Frühjahr 2024 präsentieren werden.

Das Ende dieses Prozesses ist offen. Es liegt an den Teilnehmenden selbst, welche Ideen, Forderungen und Initiativen sie im Frühjahr 2024 präsentieren werden. Ebenso liegt es in ihrer Hand, ob die Global Assembly über 2024 hinaus eine Fortsetzung finden soll.