Rechte der Natur

Akteur:innen & Initiativen

 

Rechte der Natur

Akteur:innen & Initiativen

Ein notwendiger Wandel: "Wild Law" in Südafrika und darüber hinaus

von Lesai Seema, Wild Law Institute, South Africa

Während die Menschheit mit den weitreichenden Folgen ihres Handelns konfrontiert ist – vom rapiden Verlust der biologischen Vielfalt bis hin zu Wasserknappheit und weiteren Auswirkungen industrieller Aktivitäten – war es noch nie so dringend notwendig, unsere rechtlichen Rahmenbedingungen zu überdenken.

In diesem Zusammenhang stellen die Grundprinzipien und der Ethos des "Wild Law" und des Wild Law Institute den konventionellen Rechtsrahmen in Frage bzw. überdenken ihn neu.

Wild Law betont, wie wichtig es ist, die inhärente Natur der Einheiten anzuerkennen, die wir zu regulieren und schützen versuchen, um wirksamere Gesetze für alle Lebewesen zu schaffen.

Die Initiativen des Wild Law Institute zeigen das Potenzial und die praktische Umsetzung dieses Umdenkprozesses auf und beleuchten die Voraussetzungen dafür vollständige Ausgestaltung der Idee von "Wild Law". In der Antarctic Rights-Arbeitsgruppe ist es unser Ziel, die Rechte der Natur für die Antarktis zu realisieren und einen Rahmen zu schaffen, durch den die Stimme der Antarktis Einfluss auf menschliche Entscheidungen nehmen kann. Die Gruppe formuliert zur Zeit eine Antarktis-Erklärung, die das Recht der Antarktis auf Selbstbestimmung und Vertretung in Entscheidungsprozessen anerkennt. Parallel dazu bildet sich ein weltweites Bündnis, um das Recht der Antarktis darauf zu sichern, ihre eisigen Bedingungen zu bewahren.

Im Rahmen der laufenden Aktiviäten des Wild Law Institute befassen wir uns darüber hinaus mit der dringenden Notwendigkeit, unsere Gesellschaften auf eine harmonische Koexistenz in der Natur auszurichten.

Bei allen Versuchen, die Zerstörung und Schädigung der Erde einzudämmen, wird ein fortschreitendes Wirtschaftswachs-tum und die "Nutzung" der Natur nach wie vor gegenüber dem Wohlergehen der gesamten globalen Gemeinschaft priorisiert. Eine grundlegende Richtungsänderung ist hier dringend nötig.

Mit dem Wild Law Institute haben wir eine Vision für eine harmonische Koexistenz in der Natur entwickelt, die auf die südafrikanischen Regierungssysteme zugeschnitten ist. Diese Vision, die in Zusammenarbeit mit Aktivist:innen, Naturschützer:innen und Anführer:innen indigener Völker erarbeitet wurde, zeigt einen Weg für Gesellschaften auf, die eine nachhaltigere und stärker vernetzte Beziehung zur Natur anstreben. Wir haben diesen Ansatz auch angewandt, um aufschlussreiche Kommentare zum Climate Change Bill anzubieten, der derzeit in Südafrika erarbeitet wird.

Darüber hinaus beteiligt sich das Wild Law Institute aktiv an der Global Alliance for the Rights of Nature (GARN), einer weltweiten Bewegung, die sich für die Förderung und Verteidigung der Rechte der Natur einsetzt. Unser Direktor, Cormac Cullinan, war seit der Gründung wesentlich an GARN beteiligt und gehört derzeit dem Executive Committee an. Zusätzlich zu unserem globalen Engagement hat das Wild Law Institute seit Februar 2022 die Einrichtung von GARN Africa vorangetrieben. GARN Africa setzt sich für die universelle Annahme und Umsetzung von Rechtssystemen auf dem afrikanischen Kontinent ein, die die Rechte der Natur anerkennen, respektieren und durchsetzen. Diese Initiativen verdeutlichen die vielfältigen Beiträge des Instituts zur Förderung einer harmonischeren und nachhaltigeren Beziehung zwischen Mensch und Natur.

Das Engagement in diesem Bereich führt unweigerlich an die Schranken konventioneller Denkweisen. In der Ausarbeitung der Erklärung stießen wir immer wieder an die dem Recht inhärenten Grenzen, die dann offenbar werden, wenn es mit dem Eigenwert von Entitäten jenseits menschlicher Tiere konfrontiert wird.

Das Rechtssystem, welches als Messinstrument fungiert, neigt dazu, sich auf messbare und quantifizierbare Aspekte zu konzentrieren und vernachlässigt dabei oft die qualitative, vernetzte und ganzheitliche Natur von Ökosystemen.

Die Rechte der Natur und Earth Jurisprudence dienen hier als Lingua franca; sie bieten keine abschließenden Lösungen, sondern sind dazu da, Platz für andere Werte und Weltbilder zu schaffen.

Das Konzept der Rechte der Natur stellt die der aktuellen Umweltgesetzgebung zugrunde liegenden Annahmen in Frage: Das geltende Recht gewährt der Umwelt vordergründig rechtlichen Schutz und versucht, diesen in ihrem Namen durchzusetzen, schützt dabei jedoch in Wirklichkeit die Interessen der Menschen im Hinblick auf die Umwelt und legt dabei dem menschlichen Verhalten Grenzen und Beschränkungen auf. Die Umwelt wird nur in dem Maße geschützt, in dem sich ihre Schädigung negativ auf  Rechte der Menschen auswirken kann.

Abschnitt 24 der Verfassung der Republik Südafrika veranschaulicht diesen anthropozentrischen Ansatz. Er besagt Folgendes:

“Everyone has the right—

  1. to an environment that is not harmful to their health or well-being; and (b) to have the environment protected, for the benefit of present and future generations, through reasonable legislative and other measures that (i) prevent pollution and ecological degradation; (ii) promote conservation; and (iii) secure ecologically sustainable development and use of natural resources while promoting justifiable economic and social development.”

(übersetzt in etwa: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine Umwelt, die seine Gesundheit und sein Wohlbefinden nicht beeinträchtigt, und b) auf den Schutz der Umwelt zum Wohl heutiger und künftiger Generationen durch angemessene gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen, die i) Verschmutzung und ökologische Beeinträchtigung verhindern, ii) den Umweltschutz  fördern und iii) eine ökologisch nachhaltige Entwicklung und Nutzung der natürlichen Ressourcen sicherstellen bei gleichzeitiger Förderung einer vertretbaren wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung.")

Abschnitt 24 der Verfassung sowie einzelne Gesetze, die unter anderem die Luftqualität, die biologische Vielfalt, das Küstenmanagement, die Schutzgebiete und die Wälder regulieren, haben entscheidend dazu beigetragen, die Zerstörung der Natur abzubremsen. Sie erkennen jedoch nur den Schutz der Natur als Eigentum zum Nutzen des Menschen an und garantieren diesen.

Die derzeitigen rechtlichen Ansätze zur Auslegung und zum Schutz von "Umweltrechten" müssen neu bewertet werden:

Würde das Wort "Everyone" („Jeder Mensch“) zu Beginn von Abschnitt 24 so ausgelegt, dass es auch andere Lebensformen wie nicht-menschliche Tiere einschließt, würde dies die Art und Weise, wie Menschen zu anders-als-menschlichen Lebewesen in Beziehung gehen, wesentlich verändern.

David Bilchitz, Professor für Grundrechte und Verfassungsrecht an der University of Johannesburg, präsentiert in diesem Kontext einen aufschlussreichen Ansatz: Er vertritt die Auffassung, dass eine Verfassung von Natur aus auf einer hohen Abstraktionsebene arbeitet, die verschiedene Aspekte des Lebens und der Gesellschaft umfasst, und nicht jedes Detail explizit behandeln kann.

Der Zweck einer Verfassung bestehe darin, sich an die sich verändernden Umstände anzupassen, was dazu führt, dass sich Interpretationen über Generationen hinweg verändern.

Das Fehlen einer ausdrücklichen Bezugnahme auf bestimmte Gruppen bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Gruppen keinen verfassungsmäßigen Schutz genießen. Bilchitz verdeutlicht dies, indem er aufzeigt, dass das südafrikanische Verfassungsgericht gelegentlich Schutzbestimmungen anerkannt und bestätigt hat, die nicht ausdrücklich vom Gesetzgeber berücksichtigt wurden.

Dies eröffnet die interessante Option, die Grundprinzipien der Rechte der Natur in den südafrikanischen Rechtsrahmen einzubeziehen: Wesen, die weder Menschen noch juristische Personen sind, könnten als Subjekte mit Rechten anerkannt werden. Der Schwerpunkt würde sich dann verlagern – von einer generellen Diskussion der Kämpfe um Rechte der Natur in Südafrika hin zu einer Untersuchung der Auswirkungen der Rechte der Natur auf die bestehende Gesetzgebung.

Folgen wir Bilchitz’ Auslegung, können Rechte der Natur, sollten sie in Abschnitt 24(a) der Verfassung einbezogen werden, zu einem uneingeschränkten Recht werden, das unmittelbar anwendbar würde. Im laufenden Fall Trustees for the time being of Groundwork Trust and Another v Minister of Environmental Affairs and Othersweist Collis J. darauf hin, dass die Auslegung von Abschnitt 24(a) "durch den Grundsatz gestärkt wird, dass die 'negative' Komponente aller sozial-ökonomischen Rechte - des Rechts, frei von Eingriffen in die Ausübung dieses Rechts zu sein - stets uneingeschränkt gelten und keinen Angemessenheitsanforderungen unterliegen.

Rechte der Natur zielen darauf ab, unser Verständnis und unseren Umgang mit der Natur auf allen Ebenen grundlegend zu verändern und zu betonen, dass wir Teil einer Lebensgemeinschaft sind und nicht nur bloße Verwalter:innen „natürlicher Ressourcen“.

Dieses Konzept kann als wirksames Instrument zur Stärkung des ökologischen Bewusstseins, zur Sicherung der Lebensgrundlagen und zur Förderung gemeinsamer Ziele dienen.

Selbst mit einem gut entwickelten System von Umweltgesetzen wie in Südafrika wird die Natur weiterhin übermäßig ausgebeutet und Umweltkrisen wie der Klimawandel und der rapide Bevölkerungsrückgang beschleunigen sich weiter. Hier wäre es sehr vorteilhaft, wenn unser Rechtssystem die menschliche Verantwortung gegenüber der Natur anerkennen würde, im Unterschied zu Pflichten gegenüber unseren Mitmenschen. Jedes Lebewesen, einschließlich menschlicher Tiere, nicht-menschlicher Tiere und der Umwelt, verdient die gleiche moralische Berücksichtigung. Jede Generation von Lebewesen sollte das anerkannte Recht haben, die gleiche natürliche Umwelt und das gleiche Wohlergehen zu erben, das vorherige Generationen genossen haben.

Es ist an der Zeit, dass unser Rechtssystem anerkennt, dass Menschen nicht die einzigen Subjekte auf der Erde sind und dass wir Menschenrechte nicht schützen können, ohne die Rechte aller Lebewesen zu schützen. In der Komplexität dessen, was Umweltschutz im 21. Jahrhundert bedeutet, umfasst dieser Aufruf eine ganzheitliche Perspektive, die über anthropozentrische Lösungsansätze hinausgeht und ein Bewusstsein für die gemeinsame Verantwortung für alles Leben fördert.

In diesem entscheidenden Moment bieten die Rechte der Natur echte Hoffnung auf eine Zukunft, in der Menschen, nicht-menschliche Tiere und die Umwelt für kommende Generationen erhalten bleiben. Dieses Engagement kann ein Katalysator für tiefgreifenden Wandel sein.

Aus dem Englischen übersetzt von Imke Horstmannshoff.

 

Links & Literatur