Rechte der Natur

Akteur:innen & Initiativen

 

Rechte der Natur

Akteur:innen & Initiativen

Rechte der Natur und die deutsche Zivilgesellschaft

von Elena Ewering, Universität Kassel

Rechte der Natur sind in vielen Ländern der Welt, und spätestens seit der Anerkennung der spanischen Salzwasser Lagune Mar Menor als Rechtssubjekt, auch in Europa rechtliche Realität. In Anbetracht der sich immer weiter verschärfenden ökologischen Krisen unserer Zeit stößt auch in Deutschland die Idee der Rechte der Natur (RdN) in den letzten Jahren immer mehr auf Resonanz - auf zivilgesellschaftlicher wie auf akademischer Ebene.

RdN hinterfragen unser anthropozentrisch ausgerichtetes Rechts- und Gesellschaftssystem und bieten die Chance, die Dichotomie zwischen Mensch und Natur zu überwinden, um einen gesellschaftlichen Wandel hin zu einer ökologischen Gesellschaft zu erreichen.

Die Arbeit deutscher zivilgesellschaftlicher Akteur*innen ist einer der entscheidenden Faktoren, um RdN in Deutschland Wirklichkeit werden zu lassen. Ihre Ansätze sind zahlreich und vielfältig.

Gerichtsverfahren

Natürlichen Entitäten subjektive Rechte zu gewähren und sie Prozesspartei von Gerichtsverfahren werden zu lassen ist keine absolut neue Idee, wie die berühmten Tierprozesse im Mittelalter belegen. Dabei wurden Tieren subjektive Rechte zuerkannt und Rechte und Pflichten vor Gerichten verhandelt. Ebenfalls auf tierliche Personen beschränkt haben in den letzten Jahrzehnten zwei von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen initiierte Gerichtsverfahren für Aufsehen gesorgt.

Als erstes zu nennen ist die sogenannte Robbenklage von 1988. In den 1980er Jahren verendeten 90% der gesamten Seehundpopulation in der Nordsee, mutmaßlich aufgrund der damals gängigen Verklappung von Dünnsäure auf hoher See. In Ermangelung (eigener) menschlicher Betroffenheit versuchten 1988 die Umweltschutzverbände AKN, BUND, BBV, DNR, Greenpeace, Robin Wood und die Umweltstiftung WWF im Namen der Nordseerobben vor dem VG Hamburg Rechtsschutz zu erlangen. Das Gericht lehnte den Antrag als unzulässig ab. Allerdings war das öffentliche Interesse an dem Fall so groß, dass im Nachgang nicht länger Genehmigungen für die Dünnsäureverklappung erteilt wurden – ein Beispiel dafür, wie strategische Prozessführung auch bei „aussichtslosen“ Verfahren zu tatsächlichen Erfolgen führen kann.

Einen ähnlichen Weg versuchte 2019 die Tierrechtsorganisation PETA: Im Namen männlicher Ferkel legte sie Verfassungsbeschwerde ein und argumentierte dabei, dass die Kastration ohne Betäubung die Ferkel in ihren Grundrechten verletze. Laut PETA gelten die Grundrechte zumindest auch teilweise für Schweine. Die Verfassungsbeschwerde wurde allerdings nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschl. v. 14.05.2021, 1 BvR 2612/19).

    Gesetzesinitiativen

    Das Kernziel zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in Deutschland ist aktuell überhaupt erst einmal die Aufnahme von RdN in Gesetzestexte.

    Bereits in der praktischen Umsetzung befindet sich die bayerische Initiative Rechte der Natur – Das Volksbegehren (im Folgenden: Volksbegehren). Seit September 2021 sammeln die Unterstützer*innen Unterschriften für die Zulassung eines Antrags auf ein solches Volksbegehren. Ziel ist die Änderung von Art. 101 der bayerischen Landesverfassung. Der bisherige Wortlaut soll um folgende (hier fett gedruckte) Zusätze erweitert werden:

    „Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken der Gesetze und der guten Sitten alles zu tun, was den Rechten deranderen und den Rechten der natürlichen Mitwelt nicht schadet“.

    Der Begriff "Mitwelt" ist international nicht üblich. Er wird hier als Synonym für "Natur" verwendet.

    Was genau diese Rechte der Mitwelt sind, wird in dem Vorschlag des Volksbegehrens nicht näher bestimmt und bedarf der Auslegung und schließlich der Umsetzung durch die Gesetzgebung. Ein gewisser eigenständiger Gehalt wird den Rechten der natürlichen Mitwelt jedoch inhärent sein, da die Vorschrift sonst ins Leere laufen würde. Unter Berücksichtigung von Art. 141 bayerische Landesverfassung, welcher u.a. den Genuss der Naturschönheit und die Erholung in der freien Natur gestattet, kann deswegen von einem Existenzrecht der natürlichen Mitwelt ausgegangen werden. Die Initiator*innen des Volksbegehrens sehen ihren Vorschlag vor allem als Auftrag an die gesetzgeberische Gewalt, tätig zu werden.

     

      Auf nationaler Ebene veröffentlichte das Netzwerk Rechte der Natur (im Folgenden: Netzwerk) im Jahr 2022 seine Vorschläge zu einer Grundrechtsreform. Das Netzwerk formierte sich 2008 auf Initiative von Dr. Georg Winter unter dem Namen „Netzwerk Rechte der Natur und Ökonomie“ und wurde – bemerkenswerterweise - hauptsächlich von umweltorientierten Vertretern der Wirtschaftswissenschaften getragen. Die RdN wurden vor allem im Kontext einer zukunftsfähigen Wirtschaft und der Verwirklichung von Menschenrechten als entscheidender Faktor betrachtet. Aufbauend auf diese bestehenden Strukturen wurde 2020 das heutige Netzwerk gegründet. In einem zweijährigen Beratungsprozess wurde, unter Mitwirkung verschiedenster Personen und Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Fachrichtungen, sodann ein Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes ausgearbeitet. Unter anderem soll Art. 1 GG um folgenden Absatz ergänzt werden:

      Die Würde der Natur gebietet, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, zu pflegen und zu wahren und den Eigenwert der natürlichen Mitwelt im Ganzen der Natur zu achten."

      Diese Grundgesetzänderung soll den deutschen Staat dazu verpflichten, die Natur um ihrer selbst willen und in Verantwortung für künftige Generationen zu schützen.

      Nicht zuletzt hat Prof. Jens Kersten mit seinem bahnbrechenden Vorschlag „Das ökologische Grundgesetz“ verdeutlicht, dass eine Grundgesetzänderung die weitreichendsten Erfolge für eine ökologische Gesellschaft mit sich brächte. Da eine solche hohen Hürden unterliegt, scheint jedoch – zumindest für die nähere Zukunft – das Volksbegehren erfolgversprechender. Auch hier ergeben sich einige Schwierigkeiten, diese sind aber nicht unüberwindbar.

      Unabhängig von ihrer Umsetzbarkeit bieten die genannten Vorschläge die große Chance, einer breiten Bevölkerung eine Vorstellung von RdN in Deutschland zu vermitteln.

      Vernetzung und Vermittlung der Rechte der Natur

      Ein weiterer Akteur ist der Verein Rechte der Natur e.V.. Dieser wurde 2022 von einer Gruppe junger Jurist*innen gegründet, möchte als Plattform zur bundesweiten Bündelung des bestehenden zivilgesellschaftlichen Engagements für bestimmte Ökosysteme sowie zur Vernetzung der wachsenden Bewegung der RdN dienen, darüber hinaus aber auch eigene Projekte verwirklichen.

      Auch das (oben beschriebene) Netzwerk sieht sich als Plattform zur Vernetzung der wachsenden Bewegung der RdN. Darüber hinaus stehen sowohl das Netzwerk als auch das Volksbegehren in engem Kontakt zu Wissenschaftler*innen verschiedenster Disziplinen.

      Neben der Bündelung von Kräften innerhalb Deutschlands haben das Netzwerk und auch das Volksbegehren diverse Mobilisierungs- und Informationsformen genutzt, um einen größtmöglichen Teil der Bevölkerung zu erreichen. Hierzu gehören Infostände, Theater- und Musikevents, Podiumsdiskussionen, Vorträge, Workshops, Fachdialoge, Interviews und vieles mehr. Das Volksbegehren erhielt zuletzt auch internationale Aufmerksamkeit, als es der Initiator Hans Leo Bader auf den 12. Interactive Dialogues der Generalversammlung des UN-Programmes Harmony with Nature vorstellte.

      Das gesellschaftliche Engagement für Rechte der Natur in Deutschland hat in letzter Zeit an Fahrt aufgenommen, und sowohl das Netzwerk als auch das Volksbegehren erfahren immer mehr mediale Resonanz – so wie kürzlich in der Frankfurter Rundschau und dem Magazin Spektrum. Der Einsatz für RdN trägt also auch hierzulande Früchte.

       

      Elena Ewering ist Rechtswissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Die Natur als Rechtsperson“ im Fachgebiet Just Transitions der Universität Kassel.

       

      Programme & Initiativen

      Literatur

      • Ewering, Elena & Gutmann, Andreas. „Gibt Bayern der Natur Rechte?“ Verfassungsblog. Online: https://verfassungsblog.de/gibt-bayern-der-natur-rechte/
      • Ewering, Elena & Vetter, Tore (2021). „Invisibilising Nature. Procedural Limits and Possibilities to Environmental Litigation in German Law.“ 54 VRÜ 3, pp. 376-397.
      • Fischer-Lescano, Andreas (2020): „Nature as a Legal Person: Proxy Constellations in Law, Law & Literature.“ Law & Literature, pp. 237-262.
      • Gelinsky, Katja (2021). „Die Natur als Person?“ Die politische Meinung, pp. 76-81. 
      • Gutmann, Andreas (2021). Hybride Rechtssubjektivität, Die Rechte der Natur oder Pacha Mama in der ecuadorianischen Verfassung von 2008. Nomos.
      • Gutmann, Andreas (2022). „Der Nebelwald als Rechtssubjekt.“ KJ 27, pp. 31 f.
      • Kersten, Jens (2020). „Natur als Rechtssubjekt.“ ApuZ 11, pp. 27-32.
      • Kersten, Jens (2022). Das ökologische Grundgesetz. Beck.
      • Kramm, Matthias (Ed.; 2023). Rechte für Flüsse, Berge und Wälder. Oekom.
      • Mayer-Abich, Klaus M. (1990). Aufstand für die Natur. Von der Umwelt zur Mitwelt. Hanser.
      • Mührel, Jaspar (2021). „Standing for Piglets.“Verfassungsblog. Online: https://verfassungsblog.de/standing-for-piglets/ (27.10.2023).