Indigene Biokulturen und Rechte der Natur in Uganda

Dennis Tabaro ist Umweltaktivist, Agrarökologe, Praktiker der Earth Jurisprudence und Expertenmitglied der UN-Initiative Harmony with Nature. Als Gründer und Geschäftsführer des African Institute for Culture & Ecology (AFRICE) koordiniert er Aktivitäten zu Naturrechten und dem Wissen und der Kultur indigener Völker in Uganda. Hier treffen wir ihn im Interview.

Fragen und Übersetzung aus dem Englischen von Imke Horstmannshoff.

 

Was ist Ihre Vision der Rechte der Natur, und diejenige von AFRICE?

Die Rechte der Natur sind untrennbar mit den Menschenrechten verbunden. Für Menschen ist es die Harmonie mit der Natur, ein Teil von ihr und untrennbar mit ihr verbunden zu sein, die es uns ermöglicht, unsere Rechte zu genießen.

Das schließt das Recht ein, die Gaben der Natur zu genießen, Zugang zu ihr zu haben und sie zu nutzen, wenn - und nur wenn - wir die Rechte der Natur respektieren und schützen.

Unsere Vision von den Rechten der Natur bei AFRICE ist daher die von Communities, die in Harmonie mit der Natur leben, um ihre Rechte zu verwirklichen. Diese Vision entwickelte sich seit Anfang 2013, als ich eine Reise zu indigenen Gemeinschaften unternahm, um ihre Ansichten und biokulturelle Vielfalt zu erfahren und verstehen.

Die Rechte der Natur, d. h. das Recht, sich zu entwickeln, zu ko-kreieren und sich zu regenerieren, manifestieren sich durch die (Ko-)Existenz, das Wohlergehen und die Wechselbeziehungen von Tieren, Vögeln, Pflanzen, Insekten, Luft, Boden, Wasser und allen darin enthaltenen Lebenssystemen. Diese Rechte werden in den als "Sacred Natural Sites" (‚Heilige Naturlandschaften’; SNS) oder "Mpuluma" bezeichneten Gebieten, in denen die Natur von den indigenen Gemeinschaften geschätzt und geschützt wird, vollständig verwirklicht und geachtet.

Wer sind die Menschen und Gemeinschaften, die Sie getroffen haben?

Es handelt sich um die indigenen Gemeinschaften der Bagungu, Banyabutumbi, BaSsese und Batwa, die an den großen Seen Mwitanzige (Albert), Rweeru (Edward) Nalubaale (Victoria) und im ‚undurchdringlichen Wald‘ von Bwindi in Uganda leben. Durch den regelmäßigen und vertieften Dialog mit diesen Gemeinschaften, insbesondere mit den Bagungu, lernte ich ihre traditionellen Kulturen kennen und erfuhr, wie ihr Handeln mit der Natur (Biokultur) und dem Transzendenten (Spiritualität) zusammenhängt und verbunden ist. Die ugandische Erfahrung und die anderer indigener Gemeinschaften auf der ganzen Welt -- sofern unbehelligt von den Einflüssen von Kolonialmächten und heutigen Ausprägungen -- bestätigt unsere Erfahrung, ...

...dass die Rechte der Natur dann geschützt werden, wenn diese Communities ihre Rechte wahrnehmen können, nach ihrer Beziehung zur Natur zu leben.

Wie hat AFRICE mit ihnen für die Umsetzung von RoN in Uganda zusammengearbeitet?

AFRICE hat die Bagungu bei der Wiederbelebung und Stärkung ihrer Hüter:innenschaft (‘custodianship’) gegenüber den SNS unterstützt, um ihre Biokultur und damit auch die Rechte der Natur zu schützen. Auf diese Weise haben wir zur Anerkennung von SNS und zur Ausarbeitung des ugandischen Gesetzes über die Rechte der Natur beigetragen.

Mit Unterstützung der Gaia Foundation (UK) mobilisierte AFRICE die Hüter:innen der SNS in der Bagungu-Gemeinschaft (genannt "Balamansi") und arbeitete eng mit ihnen zusammen, um einen Prozess der Wiederbelebung ihrer traditionellen Verwaltungssysteme zu verfolgen. Es dauerte einige Jahre, bis AFRICE die wahren Hüter identifizieren und ihr Vertrauen gewinnen konnte – sie waren lange Zeit von christlichen Missionaren, Kolonialmächten und anderen Gruppen verspottet, verfolgt und als "satanisch" stigmatisiert worden. Nach einigen Recherchen erklärte sich eine der Hüterinnen, Kagole Margret, zusammen mit einigen anderen bereit, mit AFRICE zusammenzuarbeiten (aus Angst vor den Reaktionen der Gemeinschaft wollten sie sich damals noch nicht öffentlich als Hüter:innen zu erkennen geben).

Später, im Jahr 2015, wurde Kagole von der Gaia Foundation und dem African Biodiversity Network unterstützt, um an einer Versammlung afrikanischer Hüter:innen von SNS in Äthiopien teilzunehmen. Bei diesem Treffen richteten die Hüter:innen einen Aufruf an die Afrikanische Kommission für die Rechte der Menschen und Völker (ACHPR), in dem sie die Anerkennung von SNS und ihrer Hütergemeinschaften in Afrika forderten. Im Jahr 2017 wurde dieser Aufruf in Uganda vom damaligen Vorsitzenden der ugandischen Menschenrechtskommission, dem kürzlich verstorbenen Medd Kaggwa, veröffentlicht. Daraufhin erarbeitete und verabschiedete die Afrikanische Kommission auf ihrer 60. Tagung in Niger die "Resolution zur Anerkennung heiliger Naturstätten und -gebiete", die heute als ACHPR-Resolution 372 bekannt ist.

Kagole und die wenigen anderen Hüter:innen, die sie um sich versammelt hatte, ließen sich von den Erfolgen der Hüter:innen inspirieren und waren motiviert, mutiger zu werden. Ihre Hüterdialoge wuchsen von einer kleinen Gruppe von sechs Personen zu einer Versammlung von 20 Hüter:innen und Clanführer:innen aus zehn Clans, die sich 2017 jeden Monat trafen.

Sie erörterten Möglichkeiten, den Korb der traditionellen Bagungu-Kultur neu zu weben, ihre rituellen Darbietungen rund um ihre SNS und Territorien zu stärken und ihre traditionelle Saatgutvielfalt wiederzubeleben, die für die Rituale in den heiligen Stätten benötigt wird.

Diese Rituale sind die einzige Möglichkeit, die heiligen Stätten kraftvoll und mächtig zu erhalten. Sie werden unter Verwendung von einheimischem Saatgut (sowohl Pflanzen- als auch Tiersamen) durchgeführt. Der Schwerpunkt lag hier darauf, die Hüter:innen zu ermutigen, solche Rituale an ihren jeweiligen Stätten durchzuführen.

Im Jahr 2017 starteten die Hüter:innen ihren ersten biokulturellen Kartierungsprozess. Unter der Leitung älterer Hüter:innen und Clanchefs zeichneten sie die ‘Ahnenkarte der Vergangenheit’, eine Karte der Gegenwart, die zeigt, was jetzt geschieht, und eine Karte ihrer angestrebten Zukunft. Die weiblichen Hüterinnen der Saatgutvielfalt entwickelten auch einen Ahnenkalender für die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.

Dieser Kartierungs- und Kalenderprozess zeigte ihnen, wie viel sie im Laufe der Jahre verloren hatten, und half ihnen bei der Planung, wie die traditionelle Ordnung wiederhergestellt werden könnte. Er half ihnen auch, ein kollektives Bild von der Ordnung ihres Landes und den jahreszeitlichen Zyklen zu entwickeln, sodass sie sich beim gemeinsamen Zeichnen und Studieren der Karten immer mehr an Traditionen, Saatgut, jahreszeitliche Indikatoren aus ihrem Gebiet und an Gewohnheitsrechte erinnern konnten.

Im Jahr 2019 verabschiedete Uganda das Gesetz über die Rechte der Natur. Wie kam es zu diesem Gesetz, und was beinhaltet es?

Dieses Gesetz, das erste seiner Art in Uganda und Afrika, wurde von einer Gruppe von Anwälten, den Advocates for Natural Resources and Development (ANARDE), auf parlamentarischer Ebene vorangetrieben. In der Zwischenzeit arbeitete AFRICE auf Gemeindeebene daran, die SNS zu dokumentieren und zu belegen, einschließlich verschiedener Ökosysteme und betroffener natürlicher Einheiten sowie menschlicher Hüter:innen, die die Natur vor Gericht vertreten könnten.

Die Verabschiedung dieses Gesetzes hat unserer Arbeit vor Ort mehr Schwung verliehen. Es war eine Bestätigung und Überzeugung für die Gemeinschaften, dass ihre Rechte anerkannt werden. Das Gesetz ermöglichte es den Hüter:innen, den Zugang zu verschiedenen Gebieten zu regulieren, wie zum Beispiel – im Fall der Bagungu – das Fischen im ItakaMwitanzige (Albertsee), unter Berücksichtigung des Lebenszyklus des Sees und der Fische. Wenn diese Regeln befolgt werden, gibt es genug für alle, die vom See abhängen, auch für nicht-menschliche Arten. Nur wenn diese Regeln eingehalten werden, kehrt die Gesundheit zum See und zu denen, die von ihm abhängig sind, zurück – einschließlich seines traditionellen Namens (Mwitanzige).

In der Zwischenzeit haben sich ältere Frauen, die über das Saatgutwissen verfügen, organisiert, um dieses Wissen über die Identifizierung, den Anbau und die Lagerung einheimischer Saatgutsorten für die weitere Vermehrung und Weitergabe wiederzubeleben. Wie in anderen indigenen Gemeinschaften hat auch bei den Bagungu das Saatgut eine kulturelle Bedeutung und ist somit Teil einer tiefen Verbindung zur Natur: Die Hüter:innen der heiligen Stätten verwenden einheimisches Saatgut zur Durchführung von Ritualen und anderen traditionellen Zeremonien, die der Ernährung, dem sozialen Leben und vielen anderen kulturellen Zwecken dienen.

Wie werden diese Gewohnheitsrechte im Rechtssystem durchgesetzt?

Diese Gewohnheitsrechte wurden infolgedessen dokumentiert und dem District Council von Buliisa vorgelegt, der eine Resolution veröffentlichte, mit der er die Gesetze zum Schutz der SNS in Buliisa anerkannte. Diese Resolution war jedoch nicht bindend und konnte den angemessenen Schutz der SNS sowie der Hüter:innen nicht gewährleisten.

Wir waren uns einig, dass ein Gesetzentwurf für eine Verordnung zum Schutz der heiligen Stätten und Ökosysteme erforderlich war.

Nach der Verabschiedung des Gesetzentwurfs durch den Rat und seine Kommissionen, und nach der Durchführung von bezirksweiten Konsultationen mit mehreren Interessengruppen tat Buliisa 2021 einen weiteren historischen Schritt, indem es einen Gesetzentwurf für eine Schutzverordnung für SNS und Ökosysteme verabschiedete. Der Entwurf wurde dem Büro des Generalstaatsanwalts, dem Ersten Parlamentarischen Rat des ugandischen Parlaments, zur Genehmigung vorgelegt.

Wir sind nun dabei, die verschiedenen Gewohnheitsrechte zum Schutz der Natur (Seen, Flüsse, Wälder, Tiere, Insekten), wie sie im Gesetzentwurf vorgesehen sind, klar zu definieren. In der Zwischenzeit haben die Bagungu Clan-Strukturen (einschließlich Hüter:innen und weiblichen Ältesten) entwickelt, im Rahmen derer diejenigen, die die Rechte der Natur verletzen, bestraft und zu Wiederherstellung, Sühne oder Ausgleich dieser Verletzungen verpflichtet werden.

Das vom ugandischen Parlament erlassene Gesetz über die Rechte der Natur muss noch umgesetzt werden, aber es gibt bislang keinen spezifischen Rechtsrahmen für diese Umsetzung. Wir arbeiten mit anderen Gruppen der Zivilgesellschaft zusammen, um einen Entwurf für einen Rechtsrahmen und politische Vorschläge zu erarbeiten, die der Regierung zur Prüfung vorgelegt werden sollen.

Wo sehen Sie aktuell Herausforderungen bei der Umsetzung der Rechte der Natur in Uganda?

Der Weg zum Schutz der Rechte der Natur ist keine isolierte, konventionelle Arbeit von Regierung oder Zivilgesellschaft. Es ist eine Verpflichtung, eine Berufung, ein engagierter dekolonialer Prozess. Diese Art von Bewusstsein muss erst noch entstehen, und das braucht Ressourcen. Im Zuge der Kolonisierung führten die britischen Kolonisatoren eine fremde Religion und ein Bildungssystem ein, das die traditionellen Kulturen stigmatisierte und die biokulturellen Systeme schwächte, die diese enge Verbindung mit der Natur ermöglichten

Nabunu twijwiire obunaku,hakuba ensi yabugungu erimukucura. Tukaba tutikarolagaga endwiire nkazinu,okubura encu mu itaka Mwitanzige”, sagt Aron Kiiza, 85 Jahre alt, ein Hüter der SNS:

"Selbst jetzt sind wir traurig, weil das ganze Land Bugungu trauert. Solche Krankheiten und einen solchen Mangel an Fischen haben wir im Mwitanzige-See noch nie gesehen."

Das Parlament hat zwar das nationale Umweltgesetz verabschiedet, aber der zuständige Minister muss noch Vorschriften für dessen Umsetzung erlassen. Vor diesem Hintergrund besteht jedoch ein großer Bedarf an Sensibilisierung und Engagement seitens der Communities und der Zivilgesellschaft. Um ganz ehrlich zu sein: Es gibt nur wenige Nichtregierungsorganisationen und Communities wie die der Bagungu, die diesen Ansatz der Förderung traditioneller Strukturen zur Verwirklichung der Rechte der Natur verfolgen.

Die Kolonisierung in Afrika und anderswo hat die Rechte der Menschen auf ihre Kultur, einschließlich ihrer Biokultur, ausgehöhlt. Wir müssen die Naturschutzpolitik sowie diejenigen rechtlichen und religiösen Systeme dekolonialisieren, die heute zum Verlust der biologischen Vielfalt, zu Nahrungsmittelverlusten und zum Verlust ganzer Ökosysteme führen. Das fängt damit an, anzuerkennen, dass der Mensch der Natur nicht überlegen ist und dass der Mensch seine Rechte bekommt, wenn die Natur ihre Rechte bekommt.

Außerdem ist der Schutz von SNS ein Systemansatz: Er muss als integraler Bestandteil des Schutzes von Fauna und Flora, der Erhaltung der Lebensräume von Tieren und der biologischen Vielfalt, der einheimischen Nahrungsmittelsysteme und der regenerativen Nahrungsmittel und Ökosysteme für ein nachhaltiges Leben gesehen werden; ein Prozess, der zur Anerkennung der Rechte der Natur führt. Die Mehrheit der ugandischen Bevölkerung hat jedoch noch kein Verständnis für die SNS entwickelt, und die meisten sind mit dem Konzept nicht vertraut. Viele Menschen kennen SNS nur als Orte für heidnische Rituale und Hexerei, die nicht schützenswert sind.

Die industrielle Landwirtschaft in Verbindung mit Hybridsaatgut und gentechnisch verändertem Saatgut, Monokulturen, chemischen Schädlingen und Düngemitteln zerstört die Böden und die gesamte Artenvielfalt. Dies stellt eine große Bedrohung und somit eine große Herausforderung für die Umsetzung der Rechte der Natur dar.

Die traditionellen Anbausysteme bauten auf einem Bewusstsein von allen Formen der Natur und der Beziehung zwischen der Natur und der Landwirtschaft, dem Fischfang, der Jagd und dem Sammeln von Nahrungsmitteln auf. Ein ganzheitlicher Ansatz für Ernährung und umweltfreundliche Governance-Strukturen sind ein effektiver Weg, um die Rechte der Natur zu verwirklichen.

Wie Gafabusa John, der Vorsitzende der Vereinigung der Hüter:innen Heiliger Naturlandschaften in Buliisa, erklärt:

"Wir hoffen, dass die Regierung die Verordnung zum Schutz unserer heiligen Stätten schnell verabschiedet, damit unsere Flüsse, Wälder und das gesamte Land mit seinen Tieren geschützt werden können. Wir brauchen dieses Gesetz auch, damit wir die Kraft und den Mut haben, dies unseren Söhnen zu lehren, bevor wir diese Welt verlassen.”


Literatur & Links