Das Recht der Flüsse: Rechte der Natur und Systemwandel in Indien

von Shrishtee Bajpai

Indiens Flüsse leiden trotz ihrer immensen kulturellen und spirituellen Bedeutung seit Jahren unter starker Verschmutzung. Zugleich erkannte der Uttarakhand High Court die nordindischen Flüsse Ganges und Yamuna 2017 in einem bahnbrechenden Urteil als Rechtspersonen an. Das Urteil wurde jedoch ausgesetzt, da es 'nicht praktikabel' sei.

Welche Rolle können Rechte der Natur in Indien spielen? Was kann es - theoretisch und praktisch - bedeuten, wenn Flüsse Rechte haben? Und welche breiteren, systemischen Transformationen sind nötig und werden dadurch angestoßen?

Die indigenen und andere mit der Natur lebenden Gemeinschaften Indiens haben die grundlegenden Lehren des westlichen Denkens in Frage gestellt – dass nämlich nur der Mensch Rechte besäße und der Rest der lebendigen Welt den Menschen zur Nutzung bestimmt sei. Zahlreiche Glaubensrichtungen und Traditionen von Menschen, die gemeinsam mit dem Rest der Natur leben, haben diese stets respektiert und verehrt. Ihr tägliches Leben wurde von den Rhythmen und Stimmungen der natürlichen Welt bestimmt, während sie die ökologischen Grenzen respektierten und eine Kultur der Zusammenarbeit pflegten.

Angesichts der drohenden Auswirkungen des Klimawandels und eines möglichen Massensterbens von Arten sowie von sich weiter schließender Möglichkeitsfenster, um sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen, fordern immer mehr Gemeinschaften, Organisationen und Regierungen in aller Welt, dass die anthropozentrischen Rechts- und Regierungssysteme durch ökozentrische ersetzt werden.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Zahl der Gesetze, die auf einer ‚ökologischer Rechtsprechung‘ basieren, deutlich zugenommen. Aber was bedeutet es, dass ein Fluss und/oder andere natürliche Wesen Rechte und Pflichten wie eine "lebende Person" haben? Was geschieht mit den Rechten der Menschen, die um dieses Ökosystemen herum leben? Sind diese Diskurse wirklich transformativ?

Dieser Artikel geht einigen dieser Fragen nach, warnt vor potenziellen Gefahren im RdN-Diskurs und betont die Notwendigkeit, kontinuierlich für einen grundlegenden, übergreifenden Wandel zu kämpfen.

Die Krise von "Entwicklung" und Umweltpolitik in Indien

Die wechselseitigen Beziehungen, die Gemeinschaften, die mit der Natur zusammenleben, seit langem gepflegt haben, sind bedroht und erfahren durch die Beschleunigung einer invasiven, neokolonialen "Entwicklung" zahlreiche Brüche. Der Ansturm des derzeit allgemein vorherrschenden nicht-nachhaltigen extraktiven Ansatzes reflektiert einen kolonialen Denkrahmen, der indigene Gemeinschaften, ihre Lebensweise und die übrige Natur immer weiter ins Abseits drängt. Auf diese Weise werden das Land und die natürlichen Ökosysteme, in denen diese Gemeinschaften leben, verschmutzt, zerstört und verschwinden.

Die gegenwärtige Krise des Planeten ist zu einer Krise der Zivilisation geworden. Die entscheidenden Dimensionen des Lebens versagen. Dabei geraten zahlreiche Gemeinschaften in eine bedrohliche Lage ohne Zukunftsperspektive.

Die Umweltpolitik in Indien ist durch mehrere solcher Widersprüche gekennzeichnet. Als Ergebnis des kolonialen Erbes arbeitet der größte Teil der indischen Verwaltung immer noch entsprechend einer kolonialen Logik, die den Rest der Natur als bloße Ressource betrachtet, die kontrolliert und verwaltet werden muss. Diese extraktive Logik hat zu vier großen Problemen geführt: darunter das Versagen der Regulation, die Grenzen des rechtlichen Aktivismus, die Annahme, dass Naturschutz (engl. „conservation“) gleich Umweltschutz (engl. „environmentalism“) ist, und die Vorherrschaft neoliberaler Wachstumsvorstellungen. Doch was geschieht wirklich mit unserer Umwelt?

Nach Angaben des Central Pollution Control Board (CPCB) sind rund 351 Flussabschnitte in Indien extrem verschmutzt. Dies hat dazu geführt, dass Arten wie der Gangesgavial (engl. Gharial, eine stark bedrohte Krokodilart) und der Ganges-Delfin fast ausgestorben und mehrere andere Arten in Gefahr sind. Darüber hinaus beeinträchtigen Dämme und die Verunreinigung des Wassers das ökologische Gleichgewicht, ruinieren die Lebensgrundlage von Fischer:innen und Landwirt:innen und beeinträchtigen die menschliche Gesundheit. Mit dem Klimawandel verschärfen sich beispiellose Überschwemmungen, Erdrutsche und andere Katastrophen dieser Art und bedrohen bereits jetzt die Sicherheit von Staudämmen auf der ganzen Welt, wobei immer extremere Wetterereignisse das Risiko von katastrophalen Staudammbrüchen erhöhen. Die fragilen Ökosysteme des Himalaya und der Westghats (wo die meisten Staudämme geplant und in Betrieb sind) in Indien sind bereits anfällig für Katastrophen, die durch den Klimawandel noch verschlimmert werden.

Rechte der Natur – eine Alternative?

Die rechtliche Anerkennung der Tatsache, dass der Rest der Natur lebendig ist und über den traditionellen Denkrahmen hinausgeht, innerhalb dessen das klassische Umweltrecht konstruiert wurde, ist ein junger Diskurs, der zur Zeit auf der ganzen Welt im Entstehen begriffen ist. Eine Reihe von Gerichts- und Regierungsentscheidungen könnte diesen Bewegungen neuen Schwung verleihen. Aber sind RdN in ihrer jetzigen Form und im gegenwärtigen westlichen Diskurs wirklich eine Alternative? Dieser Frage werden wir im nächsten Abschnitt nachgehen.

Der Uttarakhand High Court (im Folgenden UHC) entschied (in zwei separaten Beschlüssen am 22. und 30. März), dass die nordindischen Flüsse Ganga und Yamuna, ihre Nebenflüsse sowie die Gletscher und das Einzugsgebiet, die diese Flüsse in Uttarakhand speisen, Rechte als "juristische/juristische Person/lebende Einheit" haben. Im Juli 2017 wurde die UHC-Verfügung vom Obersten Gerichtshof Indiens ausgesetzt, nachdem der Bundesstaat Uttarakhand einen Gegenantrag eingereicht hatte, mit dem Einwand, dass die Verfügung rechtlich unhaltbar und einfach nicht "praktikabel" sei.

Am 4. Juli fällte der Oberste Gerichtshof des Staates Uttarakhand ein weiteres Urteil, in dem er alle Angehörigen des Tierreichs als juristische Personen anerkannte. Die Petition wurde pro bono publico für den Schutz und das Wohlergehen der Tiere eingereicht. Der Anwendungsbereich des schriftlichen Antrags wurde jedoch mit Zustimmung der Parteien und im Interesse der Allgemeinheit erweitert, um den Schutz und das Wohlergehen der Tiere zu fördern (Narayan Dutt Bhatt vs. Union of India & others, 2018).

Im März 2020 erließ das Oberste Gericht von Punjab und Haryana einen Beschluss, mit dem der Sukhna-See in der Stadt Chandigarh zu einer lebenden Entität erklärt wurde, die ebenfalls mit Rechten ausgestattet ist, die denen einer Person entsprechen (CWP No. 18253 of 2009 and other connected petitions vs State of Punjab and Haryana, page 137, 2020). Im April 2022 erkannte das Oberste Gericht von Madras die Rechte von Mutter Erde als lebende Person an.

Auch in Nachbarländern wie Bangladesch gab es ähnliche Entwicklungen: Das Oberste Gericht von Dhaka erkannte im Januar 2019 den Fluss Turag als Lebewesen mit Rechtsansprüchen an und stellte fest, dass dies ebenso für alle Flüsse in Bangladesch gelten würde. In ähnlicher Weise gibt es in Nepal Bemühungen, die Rechte der Natur mittels einer Verfassungsänderung anzuerkennen, und in Pakistan wird an einer Bill of Rights für den grenzüberschreitenden Fluss Indus gearbeitet.

Was bedeutet es, wenn ein Fluss Rechte hat?

Der Oberste Gerichtshof von Uttarakhand stellte in seinem Urteil in der Rechtssache Lalit Miglani vs. State of Uttarakhand & others fest:

"Die Flüsse sind die Lebensgrundlage des aquatischen Lebens. Auch die Flora und Fauna sind von den Flüssen abhängig. Die Flüsse ringen um Atem. Wir müssen die verfassungsmäßigen Rechte der 'Mutter Erde' anerkennen und ihnen zugestehen. Durch die globale Erwärmung, den Klimawandel und die Verschmutzung steht die Existenz der Flüsse, Wälder, Seen, Gewässer, der Luft und der Gletscher auf dem Spiel."

Die Anerkennung eines Flusses als Person mit Rechten vor dem Gesetz würde bedeuten, dass der Fluss neben anderen Rechten und Pflichten die Befugnis hätte, in seinem eigenen Namen zu klagen, die Verletzungen seiner Rechte anerkennen zu lassen, Verursacher für Schäden haftbar zu machen sowie Entschädigungen und andere Rechtsbehelfe einzufordern.

Grundrechte stellen in diesem Sinne die grundlegendste Verpflichtung dar, da sie von der Idee ausgehen, dass sie auch dann bestehen, wenn es kein Gesetz gibt. Im Falle eines Flusses, der als Rechtsperson anerkannt wird, wäre das grundlegendste Recht das Recht zu leben. Ich behaupte, dass dies bedeutet, dass der Fluss ein Recht darauf hat, zu fließen, ohne dass er aufgestaut oder so stark umgeleitet wird, dass sein grundlegender Charakter verändert wird (z. B. durch Umwandlung in einen Stausee oder Kanalisierung durch Kanäle und Tunnel). Darüber hinaus beinhaltet das Recht auf Leben auch das Recht, nicht in einem solchen Maße verschmutzt zu werden, dass wesentliche biologische und andere Prozesse irreparabel geschädigt werden.

Grundsätzlich sollten die Rechte der Natur bedeuten, dass die ökologischen Bedingungen, die einen natürlichen Lebensraum ausmachen, respektiert und geschützt werden müssen. Der Fluss hat also ein Recht darauf, seine Identität und Integrität zu bewahren.

Damit will ich nicht sagen, dass damit die Fischerei oder andere menschliche Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Fluss beendet werden, sondern ich dränge auf ein gesundes Verhältnis, das die Strömung des Flusses, seine Pflanzen und Tiere, sein Einzugsgebiet, die Felsen und Böden und andere Elemente der Landschaft, durch die er fließt, respektiert. Ebenso könnten die zerstörerischen Aktivitäten, die den Fluss schädigen, wie Verschmutzung, Dämme, Umleitungen, industrielle Fischerei und Schleppnetzfischerei sowie Sandabbau, in Frage gestellt werden.

Eine weitere Frage, die sich stellt, ist, ob auch alle Bestandteile des Flusses und seines Einzugsgebietes Rechte erhalten. Wird zum Beispiel der Flora und Fauna, die im Ökosystem eines Flusses lebt, ebenfalls zugestanden, dass sie als Lebewesen, als "Personen", Rechte haben? Wenn ja, würde dies für jedes einzelne Individuum einer solchen Art gelten, oder für die Art als Ganzes? Würde dies auch indigene und andere lokale Gemeinschaften einschließen?

Bei einem kürzlichen, zivilgesellschaftlich organisierten Dialog zur Klärung einiger dieser Fragen wurde sich auf die gemeinsame Auffassung geeinigt, dass diese Rechte alles umfassen sollten, was ein Fluss auf natürliche Weise ungehindert tun kann.

Einer der Teilnehmenden, KK Chatradhara aus Assam, definierte die Rechte der Flüsse als "ein Recht auf behna, khelna und khelana („Fluss, Spiel und Speisung“). Der Fluss muss also das Recht haben, (ungehindert) zu fließen, zu mäandern und seine Überschwemmungsgebiete zu fluten.

Die Rechte des Bodens und des Grundwasserflusses müssen ebenfalls einbezogen werden, wobei die enge Beziehung zwischen beiden zu berücksichtigen ist. Darüber hinaus sollten die Rechte des Flusses die Rechte all derer einschließen, die die Gesundheit des Flusses beeinflussen, einschließlich der Arten im Fluss, in seinem Einzugsgebiet, in den Wassereinzugsgebieten und in den Wäldern in der Nähe des Flusses (um nur einige zu nennen). Natürlich müssen diese verschiedenen Parameter von Gesundheit noch genauer definiert werden.

Außerdem wurde betont, dass Flüsse nicht von Menschen getrennt werden können, da sich menschliche Zivilisationen mit und an Flüssen entwickelt haben und menschliche Handlungen ein wichtiger Faktor sind, den es zu berücksichtigen gilt: Die traditionellen, lokalen und subsistenzwirtschaftlichen Nutzungen müssen in die Festlegung der Rechte einbezogen werden, wobei eine Abstufung der Prioritäten und eine Hierarchie der Nutzungen sowie eine strenge Regulierung bzw. ein Verbot großflächiger, kommerzieller Nutzungen notwendig sind.

Die rechtliche Umsetzung

Ausgehend von einem gemeinsamen Verständnis dessen, was ein Fluss ist und was die Rechte eines Flusses bedeuten könnten: Wie sollen diese Rechte garantiert werden? Da der Fluss dies nicht selbst tun kann und es in erster Linie Menschen sind, die seine Rechte anerkennen, müsste es ein System von Vormündern oder Wächter:innen geben, das dazu beiträgt, die Flussrechte zu garantieren und zu schützen. Dies würde dem Vorgehen ähneln, das für ein menschliches Kleinkind oder eine Person mit schwerer "Behinderung" eingerichtet wurde.

Damit will die Autorin nicht andeuten, dass die Natur nicht ihre eigenen Wege hat, um Unstimmigkeiten auszudrücken; auf einer gewissen Verständnisebene könnten wir zum Beispiel "unregelmäßiges" Verhalten wie plötzliche Überschwemmungen, Wolkenbrüche, Dürren usw. als eine Form des "Widerspruchs" betrachten. Im Bereich des Rechts, das ein menschliches Konstrukt ist, dienen die Rechte jedoch in erster Linie dazu, menschliches Verhalten zu regulieren, um die Integrität der Natur einschließlich der Arten, aus denen sie besteht, zu schützen.

Elternschaft und Vormundschaft

In beiden UHC-Verordnungen wurde eine Reihe von Personen als "Eltern" ernannt, um die Rechte der Flüsse zu schützen. Unter den von der UHC ernannten "Eltern" befinden sich Regierungsbeamt:innen und einige unabhängige Anwält:innen. Diese Ernennungen sind jedoch wenig vertrauenserweckend, da die Sorge um die Interessen des Flusses von der Loyalität dieser staatlichen Funktionäre gegenüber ihren Regierungen – welche die Rechte des Flusses selbst verletzen – überschattet werden könnte. Darüber hinaus wird in der zweiten Anordnung des Gerichtshofs der Bereich der Befugnisse erweitert:

"Der Chief Secretary des Bundesstaates Uttarakhand darf außerdem bis zu sieben öffentliche Vertreter aus allen Städten und Dörfern des Bundesstaates Uttarakhand kooptieren, um die Gemeinschaften zu vertreten, die an den Ufern von Flüssen in der Nähe von Seen und Gletschern leben (Lalit Miglani vs. State of Uttarakhand, 2017)."

Leider hat das Gericht die Entscheidung darüber dem Chief Secretary of the State (die oberste bürokratische Position) überlassen. In letzter Zeit haben die Regierungen der Bundesstaaten und der Zentralregierung derartige Positionen einfach nicht besetzt oder Personen eingesetzt, die den Status quo nicht in Frage stellen wollen.

Die folgende Bemerkung der UHC könnte einen demokratischeren Entscheidungsfindungsprozess durch sinnvolle Konsultationen auf verschiedenen Ebenen bedeuten:

"Wir möchten anmerken, dass auch die Anwohner:innen, die an den Ufern von Flüssen und Seen leben und deren Leben mit Flüssen und Seen verbunden ist, eine Stimme haben müssen" (Lalit Miglani vs. State of Uttarakhand, 2017).

Es ist eine Kommission nötig, die sich aus lokalen Gemeinschaften, der Regierung und der Zivilgesellschaft zusammensetzt und über einen mehrstufigen, ineinandergreifenden institutionellen Rahmen verfügt, um Partizipation auf der gesamten Länge des Flusses zu ermöglichen. Es bedarf einer lokalen Beteiligung, die durch gram sabhas (Dorfversammlungen) und area sabhas (Stadtgebietsversammlungen) bestimmt wird, sowie einer Repräsentation der verschiedenen Lebenssituationen, die mit dem Fluss in Verbindung stehen, mit unabhängigen Vermittler:innen und klaren Regeln für die Arbeitsweise, die Transparenz und Rechenschaftspflicht gewährleisten.

Darüber hinaus stellen sich weitere Fragen: Was passiert, wenn die "Eltern" oder Vormünder ihrer Pflicht nicht nachkommen? Werden sie persönlich bestraft, wenn sie ihre Pflichten nicht erfüllen? Oder werden sie einfach ausgetauscht? Und was ist mit Meinungsverschiedenheiten darüber, was einen Verstoß darstellt? Angesichts dieser beträchtlichen Grauzonen, die in den Gerichtsbeschlüssen undefiniert bleiben, müssen bei der Umsetzung der Beschlüsse noch viele Aspekte geklärt werden. In anderen Fällen in verschiedenen Teilen der Welt müssen mehrere dieser Fragen noch ausformuliert werden oder sind nur begrenzt bekannt.

Rechtsverletzung, Rückgabe, Wiederherstellung und Entschädigung

Um die Rechte der Flüsse wirksam wahrnehmen und angemessene Wiedergutmachungsmaßnahmen umsetzen zu können, bedarf es einer umfassenden Definition der Handlungen, die eine "Verletzung der Rechte der Flüsse" darstellen, sowie des Umfangs und der Tragweite des "Prozesses und der Art der Wiedergutmachung". Wiederherstellung könnte zum Beispiel bedeuten, dass ein Fluss wieder in den Zustand versetzt wird, in dem er sich vor der Verletzung befand. Im erwähnten Dialog über die Rechte an Flüssen im Jahr 2020 wurde das so dargelegt:

"Die Wiederherstellung kann zum Beispiel darin bestehen, dass Dämme abgebaut werden, die den Fluss blockieren oder seine Beschaffenheit so drastisch verändert haben, dass er nicht mehr in seiner ursprünglichen Form erkannt werden kann (z. B. wenn er nur noch durch Tunnel im Inneren des Berges fließt, bei so genannten Laufwasserkraftprojekten). Es kann auch darum gehen, alle betroffenen Gemeinden und andere relevante Parteien angemessen zu entschädigen.“

In einigen Teilen der Welt wurden Staudämme stillgelegt oder entfernt, um den Fluss wieder frei fließen zu lassen und seine Gesundheit oder die Populationen wild lebender Fische wiederherzustellen. Könnte Restitution auch bedeuten, dass Einzugsgebiete regeneriert werden, so dass ein ‚normaler‘ Wasser- und Sedimentfluss wiederhergestellt wird? Alle diese Möglichkeiten müssen in Betracht gezogen werden, denn einige bedeuten sehr weitreichende positive, wenn auch herausfordernde Folgen.

Rechte der Natur – eine systemische Alternative?

Wie schon erwähnt, müssen Rechte der Natur, um wirklich transformativ zu sein, auf fundierten Vorstellungen davon aufbauen, was Menschen als ‚Rechte‘ artikulieren würden. Neben einem starken Naturschutzaspekt müssen die Ziele der direkten Demokratie, der lokalen und bioregionalen Wirtschaft, der kulturellen Vielfalt, des menschlichen Wohlergehens und der ökologischen Widerstandsfähigkeit im Mittelpunkt dieser Vision stehen. Ohne eine solche Intersektionalität und ganzheitliche Vorstellung dieser Veränderungen besteht die Gefahr, dass sie vereinnahmt werden. Daher ist es wichtig, die ganzheitlichen alternativen Visionen zu betrachten. Wenn zum Beispiel die indigenen Quechua, Bewohner:innen von Potato Park in den peruanischen Anden, sagen:

"Unsere Nahrungsmittelsysteme sind nicht nur das Werk von Menschen. Sie sind das Werk der Berge, von Pachamama [Mutter Erde], des Heiligen, der ganzen Gemeinschaft, die auf Gegenseitigkeit, Solidarität und Respekt vor den Elementen des Lebens beruht. Das ist buen vivir ('gut leben') für uns",

dann betonen sie Aspekte für einen Umweltschutz, der die Erhaltung ihrer eigenen Lebensgrundlagen durch eine intensive Beteiligung der Gemeinschaft fördert. Oder die Gond-Adivasi (Indiens indigene Völker) und andere traditionelle Waldbewohner:innen in Zentralindien, die ihr Wasser, ihre Wälder und ihr Land mit Hilfe ihres traditionellen Wissens über die Generationen hinweg geschützt haben. Dorfversammlungen in Korchi, Indien, leisten nicht nur Widerstand gegen den Bergbau, sondern setzen sich auch aktiv für die Neugestaltung und den Wiederaufbau von Systemen der geschlechtssensiblen direkten Demokratie ein und erlangen die Kontrolle über die Produktionsmittel. Die Tharakans im Tharaka-Territorium, das traditionell als Nthiguru iri Njuki (Land der Bienen) in Kenia bekannt ist, beleben ihre Rituale, Zeremonien und ihre traditionelle Regierungsführung neu, um die Krisen zu bewältigen, die die Pandemie als Ergebnis größerer systemischer Krisen mit sich brachte, was wiederum die Widerstandsfähigkeit und Stärke traditioneller Wissenssysteme und Praktiken offenbart.

Kosmovisionen sind Teil der Ästhetik dieser Gemeinschaften, die in ihrer zähen Erfahrung, intuitiven Intelligenz und in wechselseitiger Abhängigkeit verwurzelt sind. Das indische Konzept des Swaraj (aus dem alten Indien, das von Mahatma Gandhi während des Unabhängigkeitskampfes popularisiert wurde) ist eine Kombination aus radikaler Autonomie (auf individueller und gemeinschaftlicher Ebene), Verantwortung für das Wohlergehen anderer, Einschränkung des eigenen Konsums und Verhaltens, um die Souveränität und das Wohlergehen anderer nicht zu beeinträchtigen, und einer nicht-binären Beziehung zwischen dem Materiellen und dem Spirituellen; als Teil der laufenden Entwicklungen in Indien wurde dieses Konzept auf die mehr-als-menschliche Welt als ‚Eco-Swaraj ausgedehnt. Diese Beispiele, wie auch andere auf der ganzen Welt, zeigen die Solidarität, die alle Menschen und mehr-als-menschlichen Wesen miteinander verbindet. Diese Kämpfe sind mehr als nur politisch; sie beinhalten auch etwas Heiliges, eine Ehrfurcht vor dem Rest der Natur, die sich in Form von Ritualen und Gebeten ausdrückt.

Unsere existenzielle Herausforderung besteht darin, wie wir die Bewegung für die Rechte der Natur und andere derartige Diskurse auf der Grundlage dieser entstehenden Bündnisse weiter ausbauen können. Wie beziehen wir die Stimmen von mehr-als-menschlichen Wesen ein? Wie können wir unsere Beziehung zum Rest der Natur wiederbeleben und aufrechterhalten, um systemische Veränderungen zu bewirken?

Es bedarf eines kulturellen Wandels, der eine Ethik der Fürsorge hervorbringen kann, einen Diskurs, der die Art und Weise, wie wir den Rest der Natur sehen, verändern kann, insbesondere in der westlichen Welt. Indigene Völker auf der ganzen Welt haben den Rest der Natur als Teil ihrer Weltanschauung, als Teil des Lebens respektiert. In jüngster Zeit haben sich auch Öko-Feminist:innen, Vertreter:innen der Schenk-Ökonomie und Öko-Spiritualität für die Anerkennung der Rechte der Natur als Teil einer veränderten Einstellung des Menschen eingesetzt, und zwar nicht nur als rechtliche Maßnahme, sondern als Lebensweise.

Wenn wir den Rest der Natur respektieren und mit ihr in Einklang kommen, werden wir das letztendlich nicht so sehr aufgrund einer Zuerkennung von Rechten tun – sondern einfach, weil es das Richtige ist.

 

Shrishtee Bajpai ist Forscherin, Autorin und Aktivistin und gehört dem Exekutivausschuss der Global Alliance for the Rights of Nature (GARN) an. Ihre Arbeit konzentriert sich auf Alternativen zur Extraktivismus-basierten Entwicklung, traditionelle/mehr-als-menschliche Regierungsformen und Rechte der Natur.

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Aus dem Englischen übersetzt von Imke Horstmannshoff.
 

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